08.11.2022 |

Die Gretchenfrage der Klimadebatte: Nun sag, wie hast du´s mit der Verantwortung für die Klimakrise?

Von Isabelle Schindler

Bonn, 08.11.2022 – Greta Thunberg bleibt der COP27 in Ägypten fern. Ein Grund: Der fehlende Wille der COP27 das System nachhaltig zu verändern. Kaum eine Diskussion wird so erhitzt geführt wie die Frage nach der Verantwortung der Klimakrise. Was muss sich ändern? Das System oder das Individuum? Eine kritische Debatte.

Auf individueller Ebene ist das Verringern des eigenen CO2-Ausstoßes ein mögliches Mittel. Häufig wird zur Bestimmung dessen der CO2-Ausstoß pro Kopf je Land gewählt. Laut der International Energy Agency (IEA) sind Personen der USA (14.44 t CO2), Chinas (7.06 t CO2) und der EU (5.92 t CO2) die Hauptverantwortlichen im globalen Vergleich des CO2-Ausstoßes pro Person (Welt: 4.39 t CO2).1  Allerdings spielen diverse weitere Faktoren eine relevante Rolle beim Vergleich der Verantwortung: Sowohl die Emissionen von Importgütern, das heißt konsumbasierte Emissionen, als auch die historischen CO2-Emissionen, welche weiterhin einen Einfluss auf die sich erwärmende Atmosphäre haben, spielen eine Rolle. Letztere sind jedoch aufgrund fehlender historischer Handelsregister nicht so einfach zu berechnen. Verschiedene Berechnungsweisen der Pro-Kopf-Emissionen verändern die Rangfolge der höchsten CO2-Emittenten ebenfalls, wie eine Analyse von CarbonBrief zeigt.2  Je nach Berechnung der historischen Pro-Kopf-Emissionen entstehen unterschiedliche Ranglisten. Deutlich wird zwar, dass bestimmte Länder aufgrund ihres erhöhten Konsums auch eine erhöhte Verantwortung haben. Dazu zählen die USA, Kanada und Neuseeland, aber auch Deutschland. Deutlich wird allerdings auch, dass eine länderspezifische Rangliste zur historischen Verantwortungszuweisung nicht so einfach zu erstellen ist und sich der Pro-Kopf-Ausstoß stark unterscheiden kann. Entsprechend bietet dieser keine Ultima Ratio zur Bestimmung, wer denn individuell CO2 sparen müsse.

Statt in Staatengrenzen zu denken, analysiert eine Studie von 20223 den Einfluss von konsumbasiertem Emissionsausstoß im Kontext der Einkommenshöhe. Die Studie kommt zum Schluss, dass der CO2-Fußabdruck pro Person des einkommensstärksten 1 % 75-mal höher ist, als der der einkommensschwächeren Hälfte der Weltbevölkerung, welche für 10 % des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich ist. Die einkommensstärksten 10 % der Welt sind insgesamt für 47 % des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich. Diese haben einen durchschnittlichen Jahresverdienst pro Kopf von 87.200 €, laut dem World Inequality Report 2022. Wenn Personen zu dieser Gruppe gehören, ergibt es durchaus Sinn, den Konsum individuell stärker einzuschränken. Die mittleren 40 % der Weltbevölkerung haben zwar noch einen leicht erhöhten Anteil an CO2-Emissionen von 43 %. Allerdings: “If we want to reduce our carbon emissions, we really need to do something about the consumption patterns of the super-rich,” schlussfolgert Dr. Bruckner, leitender Autor der Studie.

Natürlich kann auch die Mittelschicht durch individuelle Entscheidungen das eigene Mobilitätsverhalten ändern oder nicht nachhaltigen Unternehmen die Unterstützung entziehen. Doch die „Big Points“, wie schwere Autos, häufige Flugreisen und größere Wohnungen, entfallen häufiger auf Menschen der gehobenen Milieus. Laut BMU könne Müll trennen und regional einkaufen dies nicht aufwiegen. Außerdem ist durch fortschreitende Marktkonzentration, zum Beispiel im Agrarsektor, und eine global verstrickte Lieferkette eine Abstinenz von klimatisch schlechten Unternehmen immer schwieriger umzusetzen. Es ist fragwürdig, inwiefern lückenloses Wissen über die komplette Lieferkette von Verbraucher*innen erwartet werden kann, wenn sich nicht einmal Unternehmen, die Teil dieser Lieferkette sind, dazu in der Lage sehen. Weiterhin haben Großunternehmen meist viele Tochterunternehmen. Auf Produkte von Nestlé als drittgrößtem Plastikverschmutzer sollte individuell doch eigentlich verzichtet werden, oder? Laut eigenen Angaben hat Nestlé jedoch 2.000 Tochterunternehmen. Auf all deren Produkte im Warenkorb zu verzichten, gleicht dem Kampf von David gegen Goliath.

Trotz der systemischen Probleme wird noch oft ein individueller Wandel propagiert. Die „A World“ App zur Act Now Kampagne der UN beschäftigt sich zum Beispiel mit dem ökologischen Fußabdruck des Individuums. Sie beschreibt auf der Website kurz die Verantwortung von Unternehmen, vergibt in der App jedoch Punkte für individuelles Verhalten. Je mehr Punkte gesammelt werden, desto besser. 75 Punkte gibt es, wenn nur 5 Minuten geduscht wurde. Für „Den Mund aufmachen“ gibt es nur die geringste Punktezahl – 25. Aktiv gegen die Klimakrise einzustehen erscheint weniger wichtig zu sein als kurz zu duschen. Weiterhin können die Punkte für gewisse Teams gesammelt werden. Das erste Team, welches einem vorgeschlagen wird und für welches munter positive Klimapunkte gesammelt werden können, ist ein Team mit dem offiziellen Logo der Katarer Fußballweltmeisterschaft. Schön. Jetzt kannst auch du, ganz offiziell, für eine Veranstaltung CO2-Emissionen einsparen, welche massiv für Menschenrechtsverletzungen kritisiert wird und nicht im Entferntesten etwas mit Klimaschutz zu tun hat. Ein zynisches Beispiel für Greenwashing.

Woher kommt diese Individualisierung des Problems? Und was wird am ökologischen Fußabdruck kritisiert? Das Vorgehen zweier Unternehmen steht hierbei im Fokus: BP und Exxon. BP, ein international agierendes Mineralölunternehmen, hat 2004 ein Tool zur Berechnung des individuellen Fußabdruckes von der Marketingfirma Ogilvy & Mather entwickeln lassen. Viele Umweltorganisationen und Zeitungen veröffentlichen ihre eigene Version. Kritiker*innen bezeichnen ihn als „one of the most successful, deceptive PR campaigns maybe ever“. Denn der Blick auf den individuellen Fußabdruck lenkt von den immensen Emissionen ab, die BP als Mineralölkonzern zu verantworten hat.

Durch die COVID 19-Pandemie wurde ersichtlich, wie kritisch die Auslagerung des Problems von Unternehmen auf die Zivilgesellschaft zu sehen ist. Trotz einer sehr hohen Einschränkung des Privatlebens wurde im Mai 2020 ein Rekordwert des atmosphärischen CO2s verzeichnet. Denn solange das System weiter auf fossilen Energieträgern basiere, sei es nicht möglich, einen nachhaltigen Fußabdruck zu haben, erläutert Benjamin Franta von der Stanford University. Dass sich das fossile System nicht schon lange geändert hat, wurde auch von einer PR-Kampagne von Exxon gegen die Klimawissenschaft Ende der 1980er Jahre beeinflusst. Eine investigative Recherche von Inside Climate News deckte 2015 auf, dass Exxon schon im Juli 1977 bewusst war, dass die Menschheit durch CO2, welches durch fossile Energieträger ausgestoßen wird, das globale Klima beeinflusse. Um das eigene Businessmodell nicht ändern zu müssen, säte Exxon Unsicherheiten über die Klimakrise in der Bevölkerung, welche den teils eigens initiierten Studien widersprachen (Abb. 2).

Die individuelle Verantwortung der normalen Bürger*innen für den Emissionsausstoß kann nur wahrgenommen werden, wenn nachhaltige Konsumvarianten für die Allgemeinbevölkerung finanziell ermöglicht und die Hürden dafür gesenkt werden. Nachhaltig in einem misanthropischen System zu leben, ist schlichtweg unmöglich. Großunternehmen werden allerdings ohne Druck von außen nichts ändern. Und dieser kann sowohl auf der Straße als auch im Einkaufswagen ausgeübt werden. Der Umgang mit der Klimakrise darf nicht bei Forderungen nach individueller Veränderung verweilen, sondern muss zugleich mit Forderungen nach ganzheitlichen, systemischen Veränderungen kombiniert werden.

 


1 Alle Werte von 2019 aufgrund teilweise fehlender Daten durch COVID-19 und, um keine Fehlschlüsse aufgrund kurzfristiger CO2-Einsparungen aufgrund der Pandemierestriktionen zu erlauben.

 

2 China, Indien, Brasilien und Indonesien fallen bei jeder Pro-Kopf-Berechnung aufgrund ihrer hohen Bevölkerungsdichte aus der Rangliste. Sowohl die USA, Kanada und Neuseeland finden ihren Platz in den Pro-Kopf-Berechnungen, als auch dem kumulierten Länderemissionsvergleich recht weit oben. Mehr Informationen sind hier auffindbar. Die beschriebene Tabelle findet sich im Absatz „Cumulative per-capita Emissions“.

 

3 Die Studie basiert auf Daten von 2014. Die Verteilung von Wohlstand und Einkommen blieb laut Credit Suisse zwischen 2015 und 2020 relativ stabil. Die Analyse wird dementsprechend bis 2020 ungefähr weiterhin gelten. Die ungerechte Verteilung verzeichnete jedoch ab 2020 aufgrund der COVID-19 Pandemie einen Anstieg laut Oxfam, weswegen die folgenden Daten noch gravierender zur Zeit ausfallen könnten.

 

 

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