27.10.2022 |

Deutsche Bundesregierung für ihre Klimapolitik vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angeklagt

Neun junge Menschen haben im Oktober 2022, unterstützt von der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Klage gegen die deutsche Bundesregierung bzw. deren Klimaschutzgesetz (KSG) vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erhoben. Die Kläger*innengruppe hatte bereits im Jahr 2021 einen Teilerfolg erringen können. Damals hatte sie mittels Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erreicht, dass das damalige KSG für verfassungswidrig erklärt wurde. Das BVerfG erklärte in seinem Urteilsspruch im April 2021 den Klimaschutz zu einem Teil des Grundrechtschutzes, zu dem der Staat nach Artikel 20a des deutschen Grundgesetzes (GG) verpflichtet ist. Es handle sich um eine Frage der Generationengerechtigkeit: die Freiheit der jungen Generation wird demnach durch die unzureichende gegenwärtige Klimapolitik verletzt. Die Bundesregierung musste in Reaktion auf das Urteil ihr KSG anpassen.

Allerdings erfüllt aus Sicht der Kläger*innen auch das im Juni 2021 beschlossene, nachgebesserte KSG die Verpflichtungen der Bundesregierung nicht, da es nicht geeignet ist, das im Pariser Klimaschutzabkommen angestrebte 1,5-Grad-Limit einzuhalten. Vielmehr würde das verbleibende deutsche Treibhausgas-Restbudget bereits bis zum Jahr 2030 aufgebraucht. Folglich haben sie im Januar 2022 erneut Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG eingelegt, um eine erneute Nachbesserung des Gesetzes sowie konkrete und zeitnah umgesetzte Maßnahmen in den Bereichen Verkehr, Energie, Landwirtschaft sowie Flächennutzung und Biodiversität zu erwirken. Nachdem das BVerfG die Klage ohne nähere Prüfung Ende Mai abgelehnt hat und somit der innerdeutsche Rechtsweg ausgeschöpft ist, konnte im Oktober 2022 im nächsten Schritt Klage vor dem EGMR erhoben werden. Die Argumentation der Beschwerdeführer*innen auf europäischer Ebene sieht die Freiheit und Lebensgrundlagen der jungen und zukünftigen Generationen durch das weiterhin unzureichende deutsche KSG verletzt. Sie berufen sich in ihrer Klage auf Artikel 2 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die das Recht auf Leben und das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens schützen.

Die Notwendigkeit von konkreten und schnellen Maßnahmen unterstreicht zudem, dass die deutsche Bundesregierung erst kürzlich zusätzliche Emissionsrechte im Wert von mehreren Millionen Euro aufkaufen musste, um die mangelhaften Treibhausgaseinsparungen im Zeitraum von 2013 bis 2020 zu kompensieren.

Neben jener der deutschen Jugendlichen sind vor dem EGMR bereits weitere Klagen gegen europäische Staaten anhängig: die schweizerischen „Klimaseniorinnen“ und eine Gruppe portugiesischer junger Menschen haben jeweils Klimaklagen eingereicht, die das Gericht bereits als Prioritätsfälle behandelt.

Zudem sind in Deutschland weitere Klagen auf nationaler Ebene, sowohl gegen die Bundesregierung und gegen einzelne Landesregierungen (zum Beispiel gegen Niedersachsen) als auch erstmals gegen private Unternehmen (Mercedes, BMW, Volkswagen und Wintershall Dea), anhängig.