16.07.2019 | World Food Programme et al.

Zahl der Hungernden steigt im dritten Jahr in Folge

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The State of Food Security and Nutrition in the World 2019

820 Millionen Menschen hatten 2018 nicht genug zu essen. Damit stieg die Zahl der Hungernden im dritten Jahr in Folge, 2017 waren es noch 811 Millionen. Diese Werte zeigen die enormen Herausforderungen, vor denen die Weltgemeinschaft bei der Verwirklichung von SDG 2 steht, das eine Beendigung des Hungers bis 2030 zum Ziel hat. Zu diesem Ergebnis kommt der am 15. Juli 2019 in New York vorgestellte Bericht „The State of Food Security and Nutrition in the World“ der Welternährungsorganisation und weiterer UN-Organisationen. Dabei ist die Gefahr für Frauen, von Unterernährung betroffen zu sein, in allen Weltregionen höher als für Männer.

Die Herausgeber des Berichts, darunter die Direktoren der FAO und des Welternährungsprogramms WFP, waren sich darüber einig, dass die wachsende Schere zwischen Arm und Reich, Austeritätsprogramme und mangelnde soziale Sicherheit zentrale Ursachen des Hungers sind. Sie unterstrichen die Notwendigkeit eines grundlegenden politischen Umsteuerns, um die Ursachen des Hungers anzugehen – ein neuer Ton im Vergleich zu den SOFI-Veröffentlichungen der vergangenen Jahre. Was progressiv beginnt, endet jedoch in den altbekannten Forderungen nach einer stärkeren Rolle von Privatsektor und Industrie durch erhöhte Investitionen und Finanzierungen. Keiner der Herausgeber fordert ein stärkeres Engagement für die Menschenrechte.

„Um das Ziel der Weltgemeinschaft zu erreichen, den Hunger bis 2030 zu beenden, warten die Betroffenen weiter auf ein echtes Umdenken in der Politik. Diese verlässt sich weiter einseitig auf die vollmundigen Versprechen der Agrar- und Ernährungskonzerne, die schon seit 50 Jahren erklären, dass ihr industrielles Produktionsmodell den Hunger beenden würde. Die Zahl der Hungernden ist seitdem jedoch gestiegen, obwohl diese Konzerne heute mehr denn je die Ernährung kontrollieren“, so Philipp Mimkes, Geschäftsführer von FIAN Deutschland.

Die Agrarökologie ist besonders geeignet, um die Folgen der Klimakrise in der Landwirtschaft zu bewältigen. Denn eine vielfältige Anzahl von Pflanzen wird intelligent kombiniert und angebaut, so dass die Fruchtbarkeit von Böden erhöht, ihre wasserregulierende Funktion verbessert und der Schädlings- und Krankheitsdruck reduziert wird. „Bei agrarökologisch bestellten Feldern sind die Ernteerträge stabiler, falls es zu Dürren, Stürmen oder Starkregen kommt“, sagt Marita Wiggerthale, Oxfam-Referentin für Welternährung und globale Agrarfragen.

Der Hunger nimmt vor allem in denjenigen Ländern zu, die unter schwachem Wirtschaftswachstum leiden, vor allem in Mitteleinkommensländern, und solchen, die in besonderem Maß vom Handel mit Primär-Rohstoffen abhängen. Der UN-Bericht zeigt weiterhin, dass es in vielen Ländern eine statistische Korrelation zwischen Einkommensungleichheiten und zunehmendem Hunger gibt, was dazu führt, dass marginalisierte Gruppen verwundbarer gegenüber wirtschaftlichen Schwierigkeiten werden.

Die UN-Direktor*innen kommen zu dem Schluss, dass „wir armutssensitive und inklusive Strukturreformen unterstützen müssen, die die Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen und Gemeinschaften in den Fokus nehmen, um ökonomische Verwundbarkeiten zu reduzieren. Wir müssen zurück in die Spur, um Hunger zu beenden, Ernährungsunsicherheit und Unterernährung.“

Besondere Probleme in Afrika und Asien

Die Situation in Afrika ist dabei besonders alarmierend. Die Region hat die höchsten Hungerraten weltweit, die außerdem langsam aber stetig in allen Unterregionen steigen. Vor allem in Ostafrika ist knapp ein Drittel der Bevölkerung (30,8%) unterernährt. Neben Klimawandel und Konflikten treiben wirtschaftliche Schwierigkeiten die Zahlen nach oben.

In absoluten Zahlen leben die meisten Unterernährten in Asien (mehr als 500 Millionen), v.a. in Südasien. In Afrika und Asien leben mehr als neun von zehn Kindern weltweit, die unter Auszehrung oder Wachstumsverzögerungen leiden. In Südasien und Subsahara-Afrika ist das Wachstum von einem von drei Kindern verzögert. In Asien und Afrika leben zugleich drei Viertel der übergewichtigen Kinder weltweit, was auf ungesunde Ernährungsgewohnheiten hinweise.

Jenseits des Hungers

Der 2019er-Bericht führt einen neuen Indikator zur Messung von Ernährungsunsicherheit ein: die Verbreitung von moderater und schwerer Ernährungsunsicherheit. Der Indikator basiert auf Daten aus Bevölkerungsbefragungen über deren Zugang zu Nahrungsmitteln in den letzten zwölf Monaten. Dazu wird die sog. Food Insecurity Experience Scale (FIES) genutzt. Menschen leiden unter moderater Ernährungsunsicherheit, wenn ihr Zugang zu Nahrungsmitteln unsicher ist und sie auf qualitativ und quantitativ minderwertigere Ernährung zurückgreifen mussten. Die Autor*innen des Berichts schätzen, dass mehr als zwei Milliarden Menschen, v.a. in Niedrig- und Mitteleinkommensländern, keinen regelmäßigen Zugang zu sicherer, nahrhafter und ausreichender Ernährung haben. Der unregelmäßige Zugang zu Ernährung ist aber auch in Hocheinkommensländern ein Problem – für acht Prozent der Bevölkerung in Nordamerika und Europa. Im Ergebnis fordern die Autor*innen eine Transformation der Ernährungssysteme, um nachhaltig produzierte, gesunde Nahrungsmittel für die wachsende Weltbevölkerung bereitzustellen.

Zahlen aus dem Bericht

  • Zahl der Hungernden weltweit 2018: 821,6 Millionen (1 von 9 Personen)
    • Asien: 513,9 Millionen
    • Afrika: 256,1 Millionen
    • Lateinamerika und Karibik: 42,5 Millionen
  • Zahl der moderat oder schwer von Ernährungsunsicherheit Betroffenen weltweit: 2 Milliarden (26,4%)
  • Zahl der untergewichtigen Neugeborenen: 20,5 Millionen (1 von 7)
  • Kinder unter 5 Jahren mit Wachstumsverzögerungen (zu klein für ihr Alter): 148,9 Millionen (21,9%)
  • Kinder unter 5 Jahren, die unter Auszehrung leiden (zu leicht für ihre Größe): 49,5 Millionen (7,3%)
  • Schulkinder und junge Erwachsene mit Übergewicht: 338 Millionen
  • Erwachsene mit Fettleibigkeit: 672 Millionen (13% oder 1 von 8 Erwachsenen)

FIAN Deutschland und Oxfam Deutschland haben zum Bericht Pressemitteilungen veröffentlich, abrufbar hier:

Oxfam: Mit Agrarökologie gegen den Hunger

FIAN: Recht auf Nahrung von zwei Milliarden Menschen verletzt