22.09.2017 | Forum Umwelt und Entwicklung

Die Wissenschaft hat festgestellt …

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Forschung zwischen Geld, Macht und Gemeinwohlinteressen

Wer Politik macht, beruft sich gerne auf wissenschaftliche Erkenntnisse, um seine Argumentation zu untermauern. Das gilt für Regierungen, Parteien, Industrielobbys und für Nichtregierungsorganisationen gleichermaßen. Wer die Wissenschaft auf seiner Seite hat, hat doch recht, oder? Aber so einfach ist es leider nicht, weil auch die Wissenschaft nicht neutral im luftleeren Raum agiert, sondern genauso wie alle in der Gesellschaft Interessen, Zwängen und Abhängigkeiten ausgesetzt ist.
Der Wissenschafts-Mainstream ist für die Klimabewegung Verbündeter, für die Agrar-Opposition Gegner, für die FreihandelskritikerInnen ebenfalls Gegner, genauso wie für die Automobilindustrie im Diesel-Skandal – warum ist das so? Ist Wissenschaft nicht genauso abhängig von Geld und Macht, wie alle anderen auch?
 
In Zeiten von intransparenter Drittmittelfinanzierung und verdeckter Einflussnahme wirtschaftlicher und politischer AkteurInnen auf die Wissenschaft droht sie sich in manchen Feldern instrumentalisieren zu lassen. So belegen von Bayer in Auftrag gegebene Studien scheinbar die Unbedenklichkeit gentechnisch veränderter Organismen, von Coca-Cola gesponserte Forschung versucht zu widerlegen, dass zuckerhaltige Getränke krank machen und so manche VerkehrswissenschaftlerInnen bestätigen VW und Co. darin, dass der dringend nötigen Verkehrswende im Autoland Deutschland auch mit Software-Updates genüge getan ist. Droht die Wissenschaft sich zu diskreditieren, wenn sie sich so offenkundig an der Gesellschaft vorbeipositioniert, wie es z. B. so manche Agrar-, Ernährungs- und VerkehrswissenschaftlerInnen tun?
 
Es geht aber auch anders, im Klimabereich scheinen sich die ForscherInnen abgesehen von einigen wenigen nach wie vor der fossilen Lobby entgegenzustellen und auf allen Ebenen hohes Vertrauen zu genießen. Im Falle der Energiewende trat die kritische Wissenschaft schon früh auf den Plan und war sehr hilfreich für die Anti-Atom-Bewegung in den 1980ern. Allerdings werden die Stimmen, die sowohl die Abgehobenheit, beispielsweise der WirtschaftswissenschaftlerInnen, oder auch die mangelnde Inklusion hierzulande, z. B. Schwarzer Menschen, in der akademischen Welt beklagen, immer lauter.
 
Für die Zivilgesellschaft bedeutet all dies vor allem eines: Egal, ob hier Freund oder da Feind, das Ziel muss sein, die Wissenschaft wieder in erster Linie in den Dienst der Gesellschaft und des Gemeinwohls zu stellen. So wird die Forderung nach einer „Forschungswende“ inklusive einer Demokratisierung der Wissenschaft immer deutlicher formuliert. Und auch wenn klar ist, dass Drittmittelfinanzierungen und Auftragsstudien auch in Zukunft an der Tagesordnung sein werden, so muss dies doch zumindest transparent geschehen.
 
„Die Wissenschaft hat festgestellt …“ darf nicht zu einer inhaltsleeren Phrase werden und sowohl die Themensetzung, als auch die Durchführung müssen transparent und unter Einbeziehung und im Interesse der Bevölkerung vonstattengehen. Einen ersten Schritt in Richtung Aufklärung bietet diese Ausgabe.
 

Download des Rundbriefs
Gedruckte Exemplare wird es in Kürze geben. Sie können unter bruck@forumue.de bestellt werden.


 
Inhalt

SCHWERPUNKT

Wie politisch ist Wissenschaft? – Verbündete der Umweltbewegung oder Anwälte des Weiter-So?
Prof. Dr. Kai Niebert
 
Die Wissenschaftslobby für Gentechnik – Eine unheilige Allianz
Christoph Then
 
Wieso kam die Paris-Vereinbarung zustande? – Oder: Wie unabhängig sind KlimaforscherInnen?
Prof. Dr. Hartmut Graßl
 
Nahrungsmittelindustrie und gekaufte Wissenschaft – Wie die Zuckerlobby Forschung manipuliert und uns vorsätzlich krank macht
Prof. Dr. Christian Kreiß
 
Verkehrswissenschaften – Hilfe für die Verkehrswende oder Legitimation der Autogesellschaft?
Dorothee Saar
 
NAI HÄMMER GSAIT! – Der Beitrag der Wissenschaft zur Energiewende
Martin Cames
 
Forschung als Einfallstor für destruktive Politik? – Das Beispiel Tiefseebergbau
Kai Kaschinski
 
Möglichkeiten und Grenzen der Beratung von Politik und Gesellschaft – Ein analytischer Erfahrungsbericht
Prof. Dr. Claus Leggewie
 
Wirtschaftswissenschaft in der Kritik – Zwischen Modellwelt und neoliberaler Binsenweisheit
Sarah Godar
 
Repräsentation und struktureller Rassismus in der Wissenschaft – Zur Kontroverse um die Black Studies in Bremen und darüber hinaus
Bafta Sarbo
 
Forschung und Innovation – Nur für Wachstum und Wettbewerbsförderung?
Dr. Steffi Ober


AKTUELL

Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan – Nicht nur Japans Landwirtschaft, auch bäuerliche Familienbetriebe in Europa sind bedroht
Shushi Okazaki
 
Wem nützt „finanzielle Inklusion“? – Finanzdienstleister und große Konzerne suchen neue Geschäfte im globalen Zahlungsverkehr
Dr. Philip Mader
 
5 Jahre Global Youth Biodiversity Network – Ein Rückblick
Christian Schwarzer
 
Sicheres Wasser für alle – Risikomanagement für kleine Trinkwasserver- und Abwasserentsorgungsanlagen in Osteuropa
Dr.-Ing. Claudia Wendland


THEMEN UND AGs

Mehr Durchblick im deutschen Rohstoffsektor? – Erster EITI-Transparenzbericht in Deutschland veröffentlicht
Cathrin Klenck und Josephine Koch
 
Etappensieg für die Meere im neuen Naturschutzgesetz – Braucht Deutschland eine eigene Meeresschutzbehörde?
Dr. Kim Cornelius Detloff
 
Welche Biodiversitätsziele gelten ab 2020? – Die Biodiversitätskonvention konsultiert zum strategischen Plan 2020-2030
Friedrich Wulf
 
Großkonzerne, Finger weg von der Landwirtschaft – Für den Umbau der Landwirtschaft und eine Agrarpolitik für kleine und mittlere Betriebe
Christian Rollmann
 
Eintreten für eine gerechte Welthandelspolitik – Das ‚Netzwerk Gerechter Welthandel‘ führt den Widerstand gegen TTIP, CETA & Co. fort
Anne Bundschuh