von Bodo Ellmers
Aktuelle Monitoring-Berichte von IWF, Weltbank und NGOs deklarieren unisono, dass das Risiko einer neuen Schulden- und Finanzkrise massiv gestiegen ist. Einzelne Länder sind bereits akut betroffen. Des Global Policy Forums analysiert die Implikationen für nachhaltige Entwicklung in einer demnächst erscheinenden Studie und meint, Austeritätspolitik müsse dringend vermieden werden, sonst drohe eine neue verlorene Dekade anstatt der deklarierten Aktionsdekade für die SDGs. Politikalternativen gibt es genug.
Der Global Economic Prospects Report der Weltbank vom Januar 2020 hat die Schuldenentwicklung der letzten 50 Jahre analysiert. Er identifiziert vier Wellen der Verschuldung und warnt eindringlich davor, dass die letzte Welle seit 2010 die schnellste, größte und auch breiteste war. Alle vorherigen Wellen endeten in einer Finanzkrise, die laut Weltbank derzeit nur von der Niedrigzinspolitik der großen Zentralbanken verhindert wird. Das sei aber nur ein prekärer und nicht nachhaltiger Schutz.
Rekordverschuldung in allen Ländergruppen
Der fast zeitgleich veröffentlichte Global Economic Outlook des IWF bläst ins selbe Horn. Der IWF hat die Wachstumsprognosen nach unten korrigieren müssen, was sich auch auf die Schuldentragfähigkeit vieler Länder auswirkt. Die Zinssenkungen der US-amerikanischen Federal Reserve Bank haben sich zwar positiv auf die Stimmung an den Finanzmärkten ausgewirkt, so der IWF. Dies habe allerdings den Nebeneffekt, dass die Risikobereitschaft der Investoren steige, Spekulationsblasen weiter anwachsen und mehr Kapitalflüsse in Hochrisikoländer und Hochrisikoanleihen flössen. Die Nachhaltigkeit dieses Trends sei fragwürdig.
Ein neue Studie des Global Policy Forums stellt die neuen Schulden- und Finanzkrisen in den Kontext der Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs). Global gesehen haben die privaten und öffentlichen Schulden aller Länder zusammen genommen mit fast 250 Billionen US-Dollar einen historischen Höchststand erreicht, als Anteil des globalen Bruttonationaleinkommens (BNE) sind sie mit über 230% höher als vor der letzten Finanzkrise.
Alle Ländergruppen sind diesmal gleichzeitig betroffen: Die reicheren Länder des globalen Nordens weisen die höchsten Schuldenstände seit dem Zweiten Weltkrieg auf, die Emerging Markets haben Schuldenstände wie seit der großen Krise der 1980er-Jahre nicht mehr, und in den ärmsten Ländern sind die Schuldenstände vor allem in den letzten fünf Jahren deutlich in die Höhe geschossen.
Problematisch für die Entwicklungsfinanzierung ist auch, dass die Kosten für den Schuldendienst massiv angestiegen sind. Entwicklungs- und Schwellenländer haben 2018 mehr als 1,2 Billionen US-Dollar an Tilgungs- und Zinszahlungen geleistet. Das ist das Achtfache dessen, was weltweit an öffentlicher Entwicklungshilfe (ODA) zur Verfügung steht.
Wachsendes Problem privater Verschuldung
Ein hohes systemisches Risiko birgt die steigende Verschuldung des Privatsektors im globalen Süden. Private Schulden sind dort in den letzten 20 Jahren schneller gestiegen als die öffentlichen Schulden und machen mittlerweile gut 50% der langfristigen Auslandsverschuldung in Entwicklungsländern aus. Unternehmen aus Entwicklungsländern haben die Zeit des billigen Geldes genutzt, um Unternehmensanleihen in Fremdwährung an internationalen Finanzmärkten zu platzieren. Anleihen sind besonders anfällig für Refinanzierungsrisiken und können, wenn sie auf Fremdwährung lauten, bei Währungsabwertung die Schuldner in Zahlungsschwierigkeiten bringen.
Zahlungsprobleme privater Unternehmen sind nicht direkt ein Problem für die Finanzierung öffentlicher Aufgaben. Aber da solche Anleihen in den Bilanzen der Banken in Nord und Süd als Aktiva verbucht sind, würden größere Zahlungsausfälle schnell zu einer systemischen Bankenkrise führen, und damit zum Druck auf die Regierungen, die Banken mit öffentlichen Bailout-Krediten zu „retten“, was wiederum die Staatschulden in die Höhe treiben würde. Die Geschichte der letzten globalen Finanzkrise, die später in Europa zur Staatschuldenkrise wurde, würde sich wiederholen.
Eine große Unbekannte ist derzeit, wie sich solche Zahlungsausfälle auf die sog. Schattenbanken auswirken könnte – auf die großen transnationalen Vermögensverwalter und Anbieter von Investmentfonds wie Blackrock, die im letzten Jahrzehnt massiv an Bedeutung gewonnen haben. Anleihegläubiger sind mittlerweile die wichtigste Kategorie von Gläubigern in vielen Entwicklungsländern, haben Mitte der 2010er-Dekade die öffentlichen Gläubiger wie Weltbank oder KfW überholt. Sie sind weit weniger strikt reguliert als Geschäftsbanken, die konventionelle Kredite vergeben.
Eine neue verlorene Dekade muss vermieden werden
Die Krisenszenarien wachsen ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem die Vereinten Nationen eine „Aktionsdekade“ ausgerufen haben, um nachahltige Entwicklung voranzubringen und die Agenda 2030 umzusetzen. Die Situation ist allerdings so fragil, dass jeder Zinsschock das Kartenhaus zum Einsturz bringen könnte. Auch hier könnte sich die Geschichte wiederholen. Auch der letzten großen Schuldenkrise des globalen Südens ging eine Phase des billigen Geldes voraus, die Schuldenberge in die Höhe trieb, bis massive Zinserhöhungen der US-Zentralbank sie unfinanzierbar machten. Die Folge waren zwei „verlorene Dekaden“, bis endlich durch Schuldenerlasse eine vorübergehende Entspannung eintrat.
Die Studie des Global Policy Forums argumentiert, dass falsche Politikrezepte die Lage verschlimmert haben. Besonders der Fokus auf Austeritätspolitik als Mittel um Finanzkrisen anzugehen, hat sich in der Vergangenheit stets als fatal erwiesen. Das sei Krisenmanagement, das die Krisen verschärfe. Leider lässt sich bereits jetzt anhand der Analysen von Kreditkonditionen in IWF-Programmen feststellen, dass weiterhin Druck auf Entwicklungsländer ausgeübt wird, in der Fiskalpolitik prozyklisch vorzugehen, also Staatsausgaben zu kürzen. Und dies obwohl der IWF nach der Eurokrise offen bekannt hat, dass damit Rezessionen verschärft wurden.
Die Folgen in betroffenen Ländern – von Argentinien bis Zimbabwe– sind bereits jetzt sichtbar: Kürzung von Renten- und Sozialleistungen; geringere Ausgaben für Bildung und Entwicklung, Abbau von Subventionen inklusive auf Güter des täglichen Bedarfs, Arbeitsmarktreformen und regressive Steuerreformen, die die Ärmsten am härtesten treffen. Also eine Politik, die wirtschaftliche und soziale Menschenrechte verletzt und diametral im Gegensatz steht zu den international vereinbarten Entwicklungszielen der Staatengemeinschaft.
Politikalternativen
Politikalternativen gäbe es genug: Das Global Policy Forum plädiert für progressive Steuerreformen und wirksame Bekämpfung der Steuervermeidung, um neue fiskalische Spielräume zu schaffen. Durch eine Reallokation von Staatsausgaben könnten zusätzliche Mittel in soziale Sicherung und produktive Investitionen fließen, die ökologisch nachhaltig sind und menschenwürdige Arbeit schaffen. Gezielte Schuldenerlasse und geordnete Staateninsolvenzverfahren könnten etwas Luft aus der Schuldenblase nehmen, und Finanzmarktregulierungen müssten verbessert und auf den Schattenbankensektor ausgeweitet werden. Wenn die nächste Finanzkrise nicht verhindert wird – für einige Länder ist es bereits zu spät, dann müsste sie wenigstens entschärft werden, und die Folgen für die Ärmsten soweit wie möglich abgmildert werden. Dazu ist entschlossenes und verantwortungsbewusstes Regierungshandeln nötig.
Hinweise:
* Jens Martens: Die SDGs im Schatten globaler Finanzkrisen, Global Policy Forum Europe: Bonn. Bezug: www.globalpolicy.org
* World Bank: Global Economic Prospects 2020. Slow Growth, Policy Challenges, Washington DC 2020. Bezug: www.worldbank.org
* International Monetary Fund: World Economic Outlook January 2020. Tentative Stabilization, Sluggish Recovery, Washington DC 2020. Bezug: imf.org
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 20. Januar 2020 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).