19.09.2017 | Rosa Luxemburg Stiftung—New York Office

Die Füchse im Hühnerhof

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Oligarchie und globale Machtausübung im Weltsicherheitsrat

Von James A. Paul. Als vor über siebzig Jahren die Vereinten Nationen gegründet wurden, sahen die siegreichen Alliierten in der Organisation die Krönung ihrer Nachkriegsordnung. Die UNO würde den Frieden sichern, der mit enormen Opfern ungeheuer teuer erkauft worden war. An seiner Spitze sollte der Sicherheitsrat stehen – dominiert von fünf ständigen Mitgliedern, vereint in einer „Treuhand der Starken“. Diese mächtigen Nationen würden die Bürde der Friedenssicherung auf sich nehmen und sicherstellen, dass es nie wieder zu solch verheerenden Weltkriegen wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts käme.

Selbst in dieser idealisierten – um nicht zu sagen: mythologisierten – Erzählung scheint die Wirklichkeit der Großmachtpolitik durch. Doch die Geschichte des Sicherheitsrats ist seit dessen Gründung weniger von Idealismus geprägt worden. Vielmehr wurden Idealismus und Demokratie im Laufe der Jahre immer mehr von Pragmatismus und Macht erdrückt.

Nicht einmal unter den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats (den „Permanent Five“/P5) hat sich Gleichheit als operatives Prinzip durchsetzen können. Zur Zeit seiner Gründung standen die Vereinigten Staaten allein auf der internationalen Bühne. Großbritannien und Frankreich waren vom Krieg erschöpft, ihre Kolonialreiche begannen bereits zu zerfallen. Die Sowjetunion konnte zwar unzweifelhaft den Status als Siegermacht für sich reklamieren, litt jedoch enorm unter den Verlusten des Krieges. China war, nach Jahrzehnten des Krieges und des Hungers, schwach und vom Bürgerkrieg zerrissen. Selbst heute – zu einem Zeitpunkt, an dem alle fünf ständigen Mitgliedstaaten stark und vergleichsweise wohlhabend sind – werden im Sicherheitsrat getroffene Entscheidungen vor allem von den USA dominiert. Normalerweise, wenngleich nicht immer, findet ein aktiver Austausch der „P3“ statt, also von den USA, Großbritannien und Frankreich. Der Einfluss der Vereinigten Staaten ist jedoch so allgegenwärtig, das von ihnen zuweilen auch als „P1“ die Rede ist.

Unterdessen müssen die nichtständigen Mitglieder darum kämpfen, überhaupt irgendeine Wirkung auf den Sicherheitsrat zu erzielen – trotz ihrer Legitimität als gewählte Vertreter aller anderen Mitgliedstaaten. Denn die P5 sind durch die Vorteile ihres Status und des damit verbundenen Veto-Drohpotenzials in der Lage, die Agenda des Sicherheitsrats durchgehend zu bestimmen. Die zehn gewählten Mitglieder schaffen es zwar zuweilen, eine Spur im Sicherheitsrat zu hinterlassen. Dies ist jedoch eher die Ausnahme denn die Regel.

Trotz dieses Demokratiedefizits – und trotz seiner offensichtlichen Umsetzungsfehler und Vernachlässigungen – hat der Sicherheitsrat indes auch einige konkrete Ergebnisse vorzuweisen.

In der vorliegenden kritischen Analyse des Sicherheitsrats untersucht James A. Paul, ehemaliger geschäftsführender Direktor des Global Policy Forum, die Geschichte dieser Erfolge und Misserfolge, des Idealismus und der Arroganz des Sicherheitsrats. Als Akteur der Gemeinschaft der Nichtregierungsorganisationen rund um die Vereinten Nationen hat Paul zahllose Artikel, Rezensionen, Strategiepapiere und Bücher über internationale Beziehungen und globale Politik geschrieben, darunter auch die Studie „Wir, die Völker? Die Vereinten Nationen im siebzigsten Jahr ihres Bestehens“ (Oktober 2015) des New Yorker Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Eine Reform des Sicherheitsrats ist längst überfällig. Der bereits seit Jahrzehnten vernehmbare Ruf nach Reformen taucht aktuell jedoch zumeist nur als Versuch manch großer und mächtiger Nationen – darunter Deutschland, Japan, Indien, Brasilien und Nigeria – auf, ebenfalls einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat zu ergattern. Paul argumentiert, dass solche Vorschläge sich als unerreichbar erwiesen und dem Aufbau von Unterstützung für machbare Reformen bisher im Weg gestanden haben. Eine demokratische Veränderung ist jedoch unbedingt geboten, um den Sicherheitsrat hervorzubringen, den wir brauchen: einen, der in der Lage ist, wirklich für den Frieden zu arbeiten.